Umfrage: Bologna Prozess
Reportagen
Viele Studenten kennen den Begriff Bologna-Prozess und haben seine Folgen schon am eigenen Leib gespürt. Dahinter verbirgt sich ein Vertrag, der 1999 von 29 europäischen Bildungsministern in Bologna/Italien unterzeichnet wurde.
Mittlerweile ist die Zahl der teilnehmenden Bologna-Staaten auf 47 gewachsen. Die drei wichtigsten Ziele des Vorhabens, das bis 2010 ein einheitliches europäisches Hochschulwesen schaffen sollte: Förderung von Mobilität. Internationale Wettbewerbsfähigkeit. Beschäftigungsfähigkeit. Zu deutsch: die Hochschulen sorgen für eine breite Wissensgrundlage, gleichzeitig sollen sie die Studenten aber auch auf den Arbeitsmarkt vorbereiten. Außerdem sollen die europäischen Unis untereinander kooperieren und den Studenten somit Auslandsstudien ermöglichen. Durch das zweistufige System von Studienabschlüssen (Bachelor und Master) soll eine Vergleichbarkeit von Abschlüssen möglich sein. Die Einführung eines Leistungspunktesystems, des European Credit Transfer System (ETCS), gewährleistet diese Vergleichbarkeit und mache sogar einen grenzüberschreitenden Hochschulwechsel möglich.
Doch seitdem in Deutschland die Umstellung auf Bachelor und Master erfolgte, häuften sich auch die kritischen Töne am Bologna-Prozess. So klagten viele der Studenten über Stress und Überforderung. Nicht nur der eng gefasste Studienablaufplan, auch die erhöhte Prüfungsanzahl innerhalb einer Woche trage dazu bei.
Ein weiteres Problem ist, dass viele der im Ausland absolvierten Kurse gar nicht anerkannt werden und somit ein Großteil der Studenten kein Auslandssemester absolviert, da sie ein halbes Jahr warten müssten, ehe die verpassten Module wieder angeboten werden.
Wir haben uns von Studenten der BTU Cottbus sagen lassen, wie sie den Bologna-Prozess einschätzen und ob sie bereits Auswirkungen bemerkt haben.
Mandy Jülg (23), Massen, BWL - 4. Semester:
Das Pensum meines Bachelor-BWL-Studiums ist einfach zu hoch. Besonders stark merke ich das in der Prüfungszeit. Dann wird es richtig stressig, weil ich innerhalb von zwei Wochen sechs Prüfungen schreibe. Im Bereich der BWL sind das hauptsächlich Fächer, die viel Auswendiglernen erfordern. Ob ich im Anschluss noch einen Master mache, weiß ich jetzt noch nicht, dass kommt dann auf die Situation des Arbeitsmarktes an. Klar würde ich gern gleich in die Praxis einsteigen.
Grundsätzlich war die Idee hinter Bologna gut, aber die Umsetzung ist es ganz und gar nicht. Die Proteste, die sich in der Folge entwickelten, halte ich für sinnvoll. Die Studenten sollten auf Probleme aufmerksam machen, damit sie gelöst werden.
Daniela Monien (21), Friedland, Wirtschaftsingenieur/Bauwesen - 4. Semester:
Das Studium ist sehr stressig. Die Professoren haben nach der Umstellung einfach den Stoff von zwei oder sogar drei Semestern in ein Semester gepackt. Das sorgt natürlich zwangsweise für Probleme und regt mich einfach auf. Auch die Intensität der Prüfungen ist wahnsinnig hoch. Wir haben diesmal fünf Prüfungen in fast einer Woche, bei Fächern mit 100 Seiten Skript kommt das einem Marathon gleich. Trotz dieser Schwierigkeiten will ich gerne noch den Master in Cottbus machen. Ich persönlich finde, dass der Bachelor eine gute Sache ist. Der Student ist nach nur drei Jahren mit dem Studium fertig und kann dann gleich in den Beruf einsteigen. Doch die Umsetzung des Bologna-Prozesses ist grausig. Alles wird im Studium bewertet und wir müssen nach jedem Creditpoint schauen. Mangelhaft an der BTU ist auch, dass unsere Professoren zwanghaft zu viele Planspiele veranstalten und damit dem praktischen Anteil gerecht werden wollen. Aber ich bereue es nicht, mich für den Bachelor entschieden zu haben.
Eva Salan (21), Cottbus, Wirtschaftsingenieur/Bauwesen - 4. Semester:
Da ich während meines Studiums keine Zeit für ein Auslandssemester habe, werde ich erst nach meinem Abschluss nach Italien oder Norwegen gehen. Dafür stehen mir dann noch einige Förderprogramme zur Verfügung. Als es in Deutschland zur Protestbewegung gegen Bologna kam, haben auch in Cottbus einige Aktionen stattgefunden. Ich bezweifle aber, dass es hier an der BTU etwas gebracht hat. Nach dem Protestmarsch gab es zwar Gespräche, wie diese verlaufen sind, weiß ich nicht. Wenn ein Student sein Studium ernst nimmt, muss er oft in Sachen Party oder auch sonst in seiner Freizeit zurückstecken. Vorbereitung und Nachbereitung von Vorlesungen und die stressige Prüfungszeit haben halt ihren Preis.
Philipp Stuckat (23), Potsdam, Maschinenbau – 8. Semester:
Ich studiere Maschinenbau noch auf Diplom. Wenn ich ehrlich bin, ist das recht entspannt. Wir können uns das Studium frei gestalten und auch mal eine Prüfung ein Semester lang schieben. Da sind die Bachelor-Studenten doch viel eingeschränkter. Alle Belegungen werden einem vorgeschrieben. Trotzdem ist gerade der Bachelor im Bereich Maschinenbau machbar. Ein Auslandssemester werde ich auch noch absolvieren. Für mich geht es dann nach Schweden, weil mich Land und Leute dort sehr interessieren. Beim Bachelor wäre das echt schwierig, weil viele ausländische Kurse nicht angerechnet werden. Da sollte immer im Vorfeld geklärt werden, ob es anerkannt wird oder nicht.
Johannes Mundstock (24), Cottbus, Maschinenbau – 8. Semester:
Der Bachelor war damals eine gute Idee, aber durchdacht war sie bei weitem nicht. Die Umsetzung im Moment ist einfach nur katastrophal. Wir haben ja einen guten Vergleich zu den Studiengängen, die nach uns kamen und bereits umgestellt waren. Die Tendenz im Moment ist so, dass der Großteil der Industrie mit dem Bachelor gar nichts anfangen kann. Es gab ja bisher nur Diplom und das stand für die Qualität der deutschen Maschinenbauer. Eventuell wird der Master eines Tages auch so anerkannt. Aber der reine Bachelor entspricht ja nur dem Vordiplom, was gar nichts ist. Glücklicherweise wird im Moment an der Prüfungsordnung gearbeitet, sodass vielleicht mehr Zeit für die Prüfungen sein wird. Aber diese Lösung ist auch bitter nötig und hätte schon bei der Einführung existieren müssen. Dass die Proteste hier in Cottbus etwas gebracht haben, denke ich nicht. Die waren nur mal kurz in den örtlichen Nachrichten und verliefen dann wieder im Sande.
Claudia Ludwig (22), Berlin, Stadt- und Regionalplanung – 6. Semester:
Ich bin jetzt mit meinem Bachelorstudium fast fertig. Was mir besonders stark auffällt, war die extreme Verschulung des Studiums. Alles hat einen fest vorgeschriebenen Zeitpunkt und Rahmen. Will der Student beispielsweise einen Kurs vorziehen, kommt es bereits zu Problemen. Da fehlt jegliche Flexibilität. Positiv ist aber, dass man jetzt nur noch eine begrenzte Zeit studieren kann. Somit gibt es keine extremen Dauerstudenten mehr. Ein Vorteil der BTU ist natürlich, dass keine Studiengebühren erhoben werden. Denn einfach mal so nebenbei Arbeiten ist kaum möglich. Durchaus kritisch sehe ich den vorherrschenden Leistungsdruck. Es stehen doch nur noch die Credits und Noten im Vordergrund. Das Erfahrungen sammeln kommt da oft zu kurz. Allerdings werde ich im Anschluss noch meinen Master machen, da ich so später die Chance habe, mich selbstständig zu machen. Nur mit dem Bachelor habe ich das Gefühl, dass mir noch Wissen, Erfahrung und eine angemessene Spezialisierung fehlt. Den Protesten stehe ich verhalten gegenüber. Es ist sinnvoll, dass die Studenten ihre Meinung sagen, aber die Aktionen dürfen nicht die Lehre behindern. Unserem Studiengang ist es beispielsweise mit Unterschriftenaktion und Versammlungen gelungen, die Stellen von fast 40 wissenschaftlichen Mitarbeitern zu erhalten. Deren Entlassung hätte die Qualität erheblich verringert.
Kai Marktscheffel (22), Berlin, BWL – 2. Semester:
Die Studienbedingungen bei uns sind echt gut. Die Vorlesungen sind immer voll und das Angebot wird rege genutzt. Nur zur Prüfungszeit wird es mit den vielen Prüfungen richtig hart. Wenn ich noch die Wahl zwischen Diplom und Bachelor gehabt hätte, würde ich jetzt auf alle Fälle auf Diplom studieren. Dieser Abschluss ist im Ausland richtig gut angesehen. Die Umstellung auf Bachelor ist einfach viel zu schnell geschehen, da wurde nicht richtig nachgedacht und die Details vollkommen außer Acht gelassen. Trotz allem will ich noch meinen Master machen, da der Bachelor alleine nicht reicht. Aber diese Plätze sind begrenzt, deswegen muss ich sehen, wohin es mich verschlägt
Martin Haase (22), Herzberg, BWL – 2. Semester:
Ich würde während meines Bachelorstudiums gerne ein Auslandssemester machen. Allerdings ist mir noch unklar, ob die Kurse dann überhaupt angerechnet werden. Meinen Master habe ich aber fest im Blick und werde ihn nach dem Bachelor noch dranhängen. Damit steht man auf dem Arbeitsmarkt einfach besser da. Später will ich gern ins Projektmanagement. Das Unverständlichste ist das vorgeschriebene, acht Wochen dauernde, externe Praktikum. Eigentlich soll der Student das in seiner Vorbereitungszeit zur Bachelorarbeit absolvieren, aber ich glaube in der Phase hat man keinen Nerv dafür. Deswegen müssen wir es jetzt in den Semesterferien machen. Ätzend.
Patricia Fegert (20), Berlin, BWL - 2. Semester:
Die Qualität der Lehre und die Professoren selbst sind wirklich gut. Nur das Pensum ist echt zu hoch. Den Großteil der Woche macht man nur was für die Uni. Mir persönlich wäre ein Diplomstudium lieber gewesen, weil ich denke, dass die Unternehmen einfach noch nicht Bachelorabsolventen mit offenen Armen empfangen. Besonders hart war das erste Semester gewesen. Da zählen ja bereits die Noten und man sitzt in seiner ersten Uniprüfung und hat keine Ahnung was auf einen zukommt. Das verunsichert. Mit der Zeit gewöhnt man sich dann daran und kann die Situation besser abschätzen. Nun will ich schauen, ob mir der BWL-Master etwas bringt. Wenn ja, dann hänge ich ihn anschließend noch dran. Aber eventuell spezialisiere ich mich auch noch in eine andere Richtung.
Linda Blondzik (24), Großdöbern, Kultur und Technik – 4. Semester:
Wenn man nach der Schule mit einem Bachelorstudium beginnt, merkt man schnell, dass die Arbeiten jetzt viel zeitintensiver werden. Der Tagesplan ist voller und man ist plötzlich nicht mehr so frei in seinem Arbeiten. Vieles wird einem semestergenau vorgeschrieben und ein Schieben oder Vorziehen ist nicht möglich. Ich persönlich finde es gut, dass der Bologna-Prozess eine Vereinheitlichung in Europa anstrebt. So sind Kooperationen oder sogar das Arbeiten im Ausland viel einfacher möglich. Allerdings sind in Deutschland noch Verbesserungen nötig. Beispielsweise müsste die Anerkennung des Bachelors in der Wirtschaft noch mehr verstärkt werden. Für meinen Studiengang war in diesem Semester kritisch, dass die ersten Prüfungen noch in die Vorlesungszeit fielen. Das will man aber im kommenden Semester verbessern, indem eine Vorbereitungswoche eingeführt wird, vor der keine Prüfungen stattfinden dürfen.