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Keiner verlässt den Traum: Eine Reise zurück zu den Wurzeln

Musik

Veröffentlicht am 11.06.2018

Schon mal von Niedergörsdorf gehört? Nein? Den Namen solltet ihr euch aber auf jeden Fall merken, denn in diesem kleinen Ort mitten in Brandenburg findet ein Festival statt, das nach „mehr“ sucht als nur Techno und Bier. Wir präsentieren: Das „Zurück zu den Wurzeln“-Festival! PLANBAR war dieses Jahr dabei und verrät euch, ob ihr euch das Festival nächstes Jahr rot im Kalender markieren solltet.

Donnerstag, 7. Juni 2018 – wir stehen. Und stehen, stehen und stehen. Und das sollten wir noch eine ganze Weile tun – nämlich insgesamt 4,5 Stunden. Wir stehen in einer Reihe mit hunderten anderer Autos im brandenburgischen Niedergörsdorf an um endlich den Campingplatz des Wurzelfestivals zu stürmen. Genug Zeit, um schon einmal die ersten Festival-Freundschaften zu schließen, seine Autonachbarn kennenzulernen, Frisbee zu spielen – aber nach den ersten zwei Stunden stellt sich dann auch langsam Frust ein. Die Freude war dafür umso größer, als wir mit einer Taschenlampe im Mund endlich unser Zelt aufschlagen konnten. So fix wie wir unser Camp errichtet hatten, hätten wir locker einen Rekord aufstellen können. Also nix wie los – auf ins Abenteuer, auf zu unserer Reise zurück zu den Wurzeln!

Diese beginnt – wie könnte es anders sein – wieder in einer Schlange. Der Übergang vom Campingplatz zum Festivalgelände wird, wie auch schon die Einfahrt zum Campingplatz, streng bewacht. Heißt: Taschenkontrolle. Sicherheit wird hier im Wurzeltraum offensichtlich groß geschrieben. Was außerdem nicht mit auf’s Festivalgelände darf: mein halb ausgetrunkenes Bier. Mitgebrachte Getränke haben hier nix zu suchen, das sorgt bei einigen Wurzelkindern für Unmut. Aber sinnlos ist die Regel nicht – im Gegenteil. Hier soll auf jedem Floor frei von Sorgen barfuß getanzt werden können. Da stören Glasscherben natürlich ungemein. Auf dem Festivalgelände angekommen, wissen meine Augen gar nicht, wo sie zuerst hängen bleiben sollen. Und meine Ohren noch viel weniger!

Von Psytrance bis Discotrash

Saskia Diehn

Auf unserem Weg von Floor zu Floor stolpert man eigentlich nur über ein Kunstwerk nach dem anderen. Alle Floors sind wirklich liebevoll dekoriert, bis ins kleinste Detail, und unterstreichen wirklich perfekt Musikstil und Stimmung. Nachts verzaubern Lichtinstallationen den Wald und verpassen dem Wurzelfestival noch einmal eine ganz andere Atmosphäre, vor allem der Secret Forest zog einen in seinen Bann. Zwischen all den Lichtern, Lampions und Fliegenpilzen konnte man sich fallen und durch die Wurzelwelt treiben lassen. Irre! Auch musikalisch überzeugt das Wurzelfestival: Auf den Floors läuft nicht nur Techno oder House, sondern von Psytrance bis Reggae-Beats präsentiert das Festival echte Vielfalt. Kaum ist man durch den Secret Forest mit seinem Hitech-Sound gestolpert, wird man von verspielten Houseklängen in den Märchenwald gezogen. Und auf einmal schallert einem „Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein“ von Münchner Freiheit um die Ohren – und man findet sich auf dem Discotrash-Floor wieder und feiert diesen wilden Mix! Wer noch einen oben drauf setzen will spaziert zur Druckkammer, in der Druck wirklich fühlbar gemacht wird. Noch ein Pluspunkt: Hier jagt nicht ein Headliner den nächsten, sondern hier gibt's auch Platz für junge und vielleicht etwas unbekanntere Künstler. So wird die Reise von Floor zu Floor wirklich zur Entdeckungstour.

Nach der Party ist vor dem Workshop

Saskia Diehn

Wer keinen Bock darauf hat, den Tag zu verschlafen, findet im Workshopspace den idealen Zeitvertreib. Hier kann man sich in Lachyoga oder Didgeridoo spielen ausprobieren oder seinen Kindergeburtstag stilecht nachfeiern. Für den kleinen oder auch großen Hunger zwischendurch haben die Wurzelorganisatoren einen Marktplatz im Herzen des Festivalgeländes platziert. Und was soll ich sagen – hier fand quasi ein kleines Food Festival im Festival statt! Sexy Dumplings, Vöner, Dinnede (mein Favorit! mit Demeter-Mehl!), Langos, Burger, Bagels, Tortillas, Curry… Allein hier hätte man 3 Tage verbringen können. Die meisten Stände waren wirklich sorgfältig ausgewählt, es gab ein großes Angebot an vegetarischen/veganen Gerichten und bei Burger & Co. wurde auf Bio-Zutaten geachtet. Schalen, in denen Essen serviert wurde, konnte man an vielen Ständen sogar gleich mit verputzen und damit den Müllberg ein bisschen kleiner halten! Hier wurde wirklich bewiesen, dass Festival und Nachhaltigkeit zusammenpassen können, wenn man nur will.

Nachhaltigkeit & Inklusion

Saskia Diehn

Nachhaltigkeit ist auch einer der Grundwerte, den sich die Festival-Macher auf die Fahnen geschrieben haben. „Von Öko-WCs bis Müllvermeidung“ heißt es auf dem Flyer – und Ökoklos gab es wirklich jede Menge. Trotz Ankündigung auf der Website, dieses Jahr komplett auf Dixis zu verzichten, fand man doch an jeder Ecke mindestens eins - ganz öko war's dann halt doch nicht. Müllvermeidung ist natürlich relativ schwierig bei Festivals – aber Tag wie Nacht liefen Jungs und Mädels der Psyclean-Crew über das Gelände und beseitigten Müll von der Tanzfläche. Nachmittags wurden wir sogar auf dem Campingplatz vom Rufen des Müllautos geweckt – Müllsackabholung vor der Haustür, quasi. An den Bars wurden ausschließlich biologisch abbaubare Trinkbecher verteilt, trotzdem wurde mit einem Pfandsystem auch hier dafür gesorgt, dass Becher nicht einfach fallen gelassen werden. Müllvermeidung und Brandschutz in einem stellten die kostenlos ausgeteilten Taschenaschenbecher da - coole Aktion! Auf der Website wurde noch eine "Wurzel-sagt-Danke"-Karte angekündigt, welche allen Wurzelkindern 2019 19% Rabatt auf ihren Eintritt einbringen sollte, wenn sie ihr Camp sauber hinterlassen. Von der Karte haben wir persönlich überhaupt nichts mitbekommen vor Ort, schade. Nachhaltigkeit schreiben sich mittlerweile einige Festivals auf die Fahne - was das Wurzelfestival eigentlich viel einzigartiger macht, ist das Thema Inklusion. In die Wurzelfamilie integrierte sich so das Inklusionscamp, welches es auch Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen ermöglicht, an der bunten Feierei teilzuhaben. Die Wege zu den Floors sind befestigt und extra mit Rampen ausgestattet, Begleitpersonen zahlen keinen Eintritt. Aber hier werden nicht nur Rahmenbedingungen für ein barrierefreies Feiern geschaffen, hier wird Inklusion gelebt. Auf den Floors trifft man auf Rollstuhlfahrer und auf der Waldphilharmonie-Bühne hauen einem Künstler wie Graf Fidi, Rapper mit angeborener körperlicher Behinderung, richtig gute Beats und vor allem wirklich krasse Texte um die Ohren.

Bildergalerie

Fazit: Sollt ihr 2019 auch rumwurzeln?

Ja - und nein. Hier mal mein persönliches Fazit:

PRO - Darum solltest du unbedingt zum Wurzelfestival!

  • Floors: Wer so viel Liebe in Deko steckt, dem liegt sein Festival wirklich am Herzen. Auch nach dem dritten Tag konnte man noch viel neues und versteckte Überraschungen entdecken. Auch abseits der Floors, absolutes Highlight: Der Wasserfall, bei 30 Grad und purer Sonne auch dringend notwendig 🙂
  • Inklusion: Auch eine Herzensangelegenheit, die man unbedingt unterstützen sollte. Nach wie vor findet das Thema zu wenig Gehör, und gerade die Berliner Feierkultur, welche immer wieder ihre "Safe Spaces" betont, sollte ganz vorn mit dabei sein wenn es darum geht, Menschen jeder Art zu integrieren und beim Feiern willkommen zu heißen. Da machen Kleinigkeiten schon große Unterschiede, z.B. befestigte Wege auf dem staubigen Festivalgelände.
  • Nachhaltigkeit: Auch wenn hier noch Luft nach oben ist, machen sich die Wurzelorganisatoren schon sehr viele Gedanken darüber, wie man umweltfreundlich feiern kann. Daumen hoch für Ökoklos, kompostierbare Trinkbecher und Taschenascher!
  • Line Up: Unterscheidet sich definitiv zu anderen Festivals! Wer nicht die üblichen DJs hören mag und sich auch mal musikalisch auf neue Pfade begeben möchte, ist hier genau richtig.
  • Regional: Wer aus Niedergörsdorf kommt, sollte auf jeden Fall mal vorbeischauen - für Anwohner ist der Eintritt frei!

KONTRA: Warum das Wurzelfestival vielleicht nicht das richtige für dich ist...

  • Line Up: Wenn du deine Lieblingskünstler bewundern möchtest und auf bekannte Headliner setzt, such dir lieber ein anderes Festival raus.
  • Organisation: Hier kann das Wurzelfestival noch an einigen Ecken zulegen. Es sind die kleinen Dinge, die das Festivalerlebnis perfekt machen, und dazu gehört eben auch ein bisschen Struktur. Gut wären z.B. ein Lageplan/Heftchen mit Line Up gewesen, funktionierende Duschen, schnellere Kontrollen am Einlass, schnellere Kontrollen auf dem Weg zum Festivalgelände, Möglichkeiten zum Hände waschen nach dem Toilettengang usw. UND: Dinge, die auf der Website angekündigt werden (z.B. "Wurzel-sagt-Danke"-Karte) sollten dann auch in die Tat umgesetzt werden, oder man korrigiert die Infos online.
  • Das Motto "Zurück zu den Wurzeln" kam leider nicht an jeder Ecke des Festivals beim Besucher an, was wirklich schade ist. Angekündigt wird ein Festival fernab von kommerziellen Veranstaltungen, die Realität sieht dann leider ein klein wenig anders aus. Es durften keine Saftkartons mit auf's Festivalgelände genommen werden - wohl kaum wegen der Scherbengefahr, eher damit man an den Bars mehr Geld lässt. Für Bier und Co vielleicht ok, aber O-Saft? Naja! Und irgendwo ist das ja auch ok, Festivals müssen organisiert und finanziert werden, und bei der ganzen Arbeit sollen die Verantwortlichen auch davon leben können. Aber einige Besucher hat es eben doch verärgert, wenn neben Ticketkosten von mehr als 100€ für die teuerste Ticketoption zusätzliche Kosten für Duschen anfallen, 1€ pro Besuch der gereinigten WCs fällig wird und keine mitgebrachten Getränke auf dem Floor erlaubt werden.

Falls du das Wurzelfestival im nächsten Jahr ausprobieren möchtest - schau doch einfach mal beim Wurzelteam auf Facebook vorbei, damit du keine Neuigkeiten verpasst. Und das kann sich doppelt lohnen, z.B. für günstige Early Bird-Tickets! Mehr Infos gibt es auch unter www.wurzelfestival.de.