Ja, das mach ich schon noch! – Die Sache mit dem Prokrastinieren
How To
Wir alle tun es, wir alle haben es schon getan. Der eine öfters, der andere weniger. Aber jedes Mal bereitet es uns Unbehagen: Prokrastination.
Für alle, die sich jetzt erstmal fragen, was das sein soll, und inwiefern der Begriff etwas mit „Pro“ oder „krass“ sein zu tun hat: Prokrastinieren ist im Grunde nichts anderes, als die Angewohnheit des Aufschiebens auf einen späteren Zeitpunkt. Das sagt zumindest das Webster’s Dictionary . Meiner Meinung nach gäbe es da aber noch ein paar Sachen hinzuzufügen. Was ist mit der Tatsache, dass man, um des Aufschiebens Willen, dabei meist beliebig und unnötig Dinge tut, die gerade 0,0% Vorrang haben sollten? Du hast eine Facharbeit zu schreiben? Dann solltest du definitiv dein Bücherregal sortieren. Du musst schleunigst deine Bewerbungen vorbereiten, weil die Frist in 3 Tagen abläuft? Das ist der perfekte Zeitpunkt, um diese Serie anzufangen, die schon seit längerem auf deiner NETFLIX-Liste steht. Wichtig dabei ist, dass Prokrastination nicht gleich Faulheit ist, auch wenn Eltern und Lehrer das gerne mal gleichstellen. Faulheit ist sozusagen der reine (meist gewollte) Zustand des Nichtstuns. Gibt’s die passende Motivation, hören wir auf mit dem Nichtstun. Prokrastination dagegen ist eine Störung der Selbststeuerung. Das heißt, das Setzen von Prioritäten, Planung und Konzentration sind so gut ausgebaut, wie der Flughafen Berlin-Brandenburg.
Ich bin ehrlich: Meine Eltern haben mir wahrscheinlich öfter gesagt, ich solle mich nicht immer vergessen und endlich mal mit - hier beliebige Aufgabe einfügen - anfangen, als dieser Artikel Buchstaben hat. Es ist mir bis heute noch ein Rätsel, wie es sein kann, dass meine Eltern stets so organisiert und diszipliniert sein können und ich meist nicht einmal weiß, welcher Wochentag gerade ist. Liegt es an mir? Die Antwort ist ja und nein. Aufschieben wird nicht vererbt, es wird erlernt. Ich bin mir sogar sicher, dass die Prokrastinationsrate mit der Erfindung des Internets noch erheblich gesteigert wurde. Auch wenn es im Deutschen viele Redewendungen dagegen gibt (z.B. nach Faulheit kommt Krankheit), bin ich sicher, dass die Gesellschaft einen sogar öfter und unauffälliger zum Dinge-auf-später-verlegen erzieht, als man glaubt. Man denke beispielsweise nur mal an die Schlummertaste.
Das heißt jedoch noch lange nicht, dass das eine Rechtfertigung für oberflächliche oder gar nicht erledigte Aufgaben sein darf. Wenn schon prokrastinieren, dann wenigstens nach Regelwerk. Klassisch läuft das bei mir folgendermaßen ab:
- Nehmen wir an, ich habe einen wichtigen Vortrag für die Schule vorzubereiten. Ich weiß, ich muss dieses Mal früher anfangen, da die Zeit beim letzten Mal echt knapp wurde.
Tag 1:
- Eigentlich muss ich mir deswegen ja noch gar keine Sorgen machen, ich habe ja noch genügend Zeit. Demnächst werde ich WIRKLICH anfangen!
Tag 2:
- Heute ist so tolles Wetter… da kann ich nicht drinnen hocken. Morgen starte ich mit den Vorbereitungen für den Vortrag.
Tag 3:
- Ok, ich habe noch 2 Tage Zeit. Dann konzentriere ich mich eben aufs Wesentliche und ist es noch zu schaffen… irgendwie… hoffentlich.
Tag 4:
- Es ist schon wieder passiert! Das wird unmöglich, den Vortrag in einem Tag zu schaffen. Warum lerne ich nicht dazu?!
Tag 5:
- Alles klar: jetzt oder nie! Eine miese Note kann ich nicht riskieren, ich gebe mein Bestes!
Tag 6:
- Puh. Das war knapp. Und so schlecht war das Ergebnis am Ende nicht. Aber beim nächsten Mal fange ich echt früher an! Wirklich.
Im Prinzip ist es ein einziger Teufelskreis, der immer nach dem gleichen Schema abläuft. Zu sagen „Fang doch einfach früher an!“ hilft nicht. Es ist wie eine Blockade der Selbstbestimmung. Hat das Ganze auch gute Seiten? Na ja, es gibt mehrere verschiedene Arten der Prokrastination (leider zu viele, um sie hier alle zu erklären). Den meisten Prokrastinatoren ergeht es so, dass sie, wie oben bereits erwähnt, die verschiedenen irrelevanten Dinge tun, nur um ihrer Hauptaufgabe aus dem Weg zu gehen. Doch meist erledigen sie die Hauptaufgabe (wenn auch mehr schlecht als recht) letztendlich doch noch und haben außerdem mehrere Nebenaufgaben erledigt, die sie so wahrscheinlich nie angepackt hätten, oder wieder aufgeschoben hätten, wenn diese erst zur Hauptaufgabe geworden wären. Ein Aufschieber erledigt manchmal sogar mehr Aufgaben, als ein durchstrukturierter Organisator. Aber auch das kann man natürlich nicht verallgemeinern.
So oder so: Seid euch den negativen Folgen bewusst! Diese Blockade lässt euch vielleicht viele Chancen verpassen; kann euch euer Ansehen kosten und euch gesundheitliche Probleme bis hin zur Depression einheimsen. Passt also auf, dass Ihr euch nicht zu oft selber belügt.
Falls euch aber eure prokrastinationsbedingten Panikattacken langsam zu viel werden, könnt Ihr euch einen 7-Tage-Plan machen, euch am BAR-Programm probieren und solltet stets versuchen, eure negativen Gedankenmuster zu überwinden (auch wenn das leichter gesagt ist, als getan). Was das alles ist und wie das geht, könnt Ihr hier auch nochmal nachschauen: https://www.prokrastination.net/umfrage/grundlagen.php
Ich hoffe nur, Ihr steckt nicht so tief drin, dass Ihr den Beginn eurer „Heilung“ ebenfalls die ganze Zeit verlegt.
Ich würde behaupten, dass jeder schon einmal etwas aufgeschoben und erst im letzten Moment erledigt hat. Damit möchte ich nicht sagen, dass organisierte Menschen langweilig oder unnormal sind. Sie haben auf jeden Fall weniger Stress und Zeitdruck. Ich meine nur, dass Aufschieben menschlich ist und wir es ab und zu vielleicht sogar unbewusst tun. Es wird immer Aufgaben geben, die man nicht gerne erledigt. Wichtig ist, nicht in Panik zu verfallen, wenn man vom Plan abweichen muss. Manchmal muss man Kompromisse eingehen, improvisieren oder flexibel sein, wobei man aber nie endgültig die (Selbst-) Kontrolle verlieren sollte.
Hannes F. Jetschick