(M)EIN TAG ALS ALTENPFLEGER/IN

Mein Dienst beginnt gegen 06:00 Uhr. Pünktlich stehe ich am Eingang des Laurentius Hauses in Hoyerswerda - ein Altenpflegezentrum, das zur das zur Stiftung
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04:55 Uhr

Das ist echt nicht meine Tageszeit, aber ich muss jetzt aufstehen, denn eine Kleinigkeit Frühstücken sollte ich schon, bevor um 6:00 Uhr mein Tag als Altenpfleger beginnt.

06:00 Uhr

Pünktlich stehe ich am Eingang des Laurentius-Hauses in Hoyerswerda - ein Altenpflegezentrum, das zur Stiftung Diakonie-Sozialwerk Lausitz gehört und idyllisch am Wald liegt. Noch ist alles ruhig. Anke hat die Ausbildung zur Altenpflegerin im letzten Jahr hier im Laurentius-Haus abgeschlossen und arbeitet seit dem als Fachkraft im Wohnbereich 1. Sie werde ich heute begleiten.
Als erstes führt sie mich in den Aufenthaltsraum für die Pflegekräfte. Hier bespricht Anke kurz mit zwei Auszubildenden, wer welche Aufgaben übernimmt. Jetzt werden noch schnell die Hände desinfiziert und schon geht es los zum ersten Bewohner. Ich frage mich kurz, warum die Mitarbeiter gar keine einheitliche Arbeitskleidung tragen. Anke erklärt mir, dass es im Laurentius-Haus üblich ist, in ziviler Kleidung zu arbeiten. „Wir tragen keine Kittel oder ähnliches, damit kein Stationsgefühl aufkommt. Die Bewohner sollen sich als Bewohner fühlen, nicht als Patienten.“ Das macht Sinn.

06:10 Uhr

Bett machen und rasieren bei Herrn K. Währenddessen sehe ich mich etwas im Zimmer um. Die Zimmer sind stilvoll eingerichtet und private Fotografien und Pflanzen machen es irgendwie wohnlich.

06:20 Uhr

Anke und ich sind auf dem Weg zu Herrn P. Wir haben vorher kurz über ihn gesprochen. Er ist bereits 102 Jahre alt, „aber noch total fit, vor allem im Kopf. Und er sieht keinen Tag älter aus als 80.“ Tolles Kompliment, denk ich mir. Wir betreten das Zimmer und werden freundlich von einem Herrn im Bademantel begrüßt. Der hat aber gute Laune, und das um diese Uhrzeit! „Hab mich gestern über Hamburg geärgert. Haben 0:0 gespielt - die Pfeifen.“ Wir lachen. Fußball lässt wohl auch die ältesten Männer nicht los. Anke legt die Badeutensilien zurecht und sagt Herrn P., dass heute gebadet wird und wir schon einmal vorgehen. Die hat gut reden, dachte ich mir. Soll der arme Mann uns hinterher fliegen? Aber dann staune ich nicht schlecht, als er seinen Rollator packt und über den Gang bis zum Baderaum schlürfe. MIT 102 JAHREN!!! Hier bin ich das erste Mal beeindruckt.
Im Baderaum wird die Heizung aufgedreht, das Badewasser eingelassen. Es ist rosa und riecht gut. Herr P. ist angekommen, wird entkleidet und legt sich auf eine Liege. Diese wird dann hochgefahren und zur Wanne geschoben. In der richtigen Position angekommen, wird die Wanne hochgefahren und Herr P. kann sein Bad genießen. Er wäscht sich hauptsächlich selbst, aber das Rückenwaschen von Anke genießt er sehr. Jemandem, der noch nie im Altenheim war könnte der herrschende Ton teilweise schroff vorkommen. Aber die Angestellten sprechen lediglich laut. Viele der Bewohner tragen Hörgeräte und verstehen nicht mehr so gut. Deswegen sind kurze Sätze und Anweisungen wichtig. Anke erzählt mir von der sogenannten ‚Verwirrtheitsprofilaxe‘. In diesen Fällen betritt sie früh den Raum und sagt: „Hallo Frau Müller, heute ist Freitag, 6 Uhr, wir werden jetzt waschen und dann essen.“ Herr P. ist fertig mit dem Baden, wird abgetrocknet, eingecremt und wieder angezogen. Manche Sachen macht er auch alleine. Danach wird er zum Zimmer zurückbegleitet und wir gehen zum nächsten Bewohner.

06:55 Uhr

Noch nicht mal eine Stunde habe ich geschafft. Ich bin leicht müde, aber ich lasse mir nichts anmerken. Ich frage Anke, ob alle Bewohner so zeitig aufstehen müssen. Sie verneint es und sagt, wenn die Bewohner länger schlafen wollen, dürfen sie das natürlich. Bei einem Bewohner wird beispielsweise immer erst nach dem Frühstück die Pflege durchgeführt, weil er einfach gern länger schläft. Wir betreten das Zimmer von Frau N. Sie betreibt als erstes die normale Körperpflege, in der Zeit reinigt Anke das Bett und bezieht es neu. Danach wird geduscht. „Aber nicht die Haare, ich war erst beim Friseur. Sieht gut aus, oder?“ Ich stimme ihr zu. Frau N. bewegt sich hauptsächlich mit dem Rollstuhl fort. Sie kann aber noch viele Sachen erledigen. Sie betreibt beispielsweise Blumenpflege, hilft bei der Wäsche etc.

07:10 Uhr

Frau L. ist die erste, die nicht möchte, dass ich Anke bei der Pflege begleite. Aber schließlich geht es hier um die Privats- und Intimsphäre jedes Einzelnen, darum warte ich kurz vor der Tür. Als Anke die Pflege beendet hat, führt sie mich ein bisschen durch das Haus. Es gibt fünf Wohnbereiche, jeder mit einem anderen Namen und einer anderen Farbe und jeder mit 24 Bewohnern. Wohnbereich 1 ist gelb eingerichtet und trägt den Namen „Sonnenblick“. Im Erdgeschoss befinden sich noch ein großer Speisesaal und der „Raum der Stille“. Im Keller befindet sich unter anderem der Friseursalon, der mehrmals pro Woche für die Bewohner geöffnet hat.
Als wir unseren Rundgang beendet haben, setzt sich Anke an den Computer im Aufenthaltsraum. Hier trägt sie ein, welche Beratungsgespräche sie geführt hat, aktualisiert die Pflegeplanung etc. Ob Büroarbeit zum Beruf dazugehört? „Oh ja, und zwar mehr, als mir manchmal lieb ist.“ Schließlich muss alles dokumentiert werden, denn die Pflegeplanung ist die Arbeitsgrundlage der Pflegekräfte. Hier ist z. B. hinterlegt, welches Pflegeproblem ein Bewohner hat. Ursachen, Ziele und Maßnahmen werden erfasst. Zweimal jährlich gibt es große Visiten mit den Angehörigen, alle drei Monate Mikrovisiten. Oje, mir wird ganz schwindelig von den vielen Informationen.

08:00 Uhr

Frühstück. Einige Bewohner sind in den großen Speisesaal gegangen, die restlichen erhalten ihr Essen auf dem Wohnbereich. Die meisten Bewohner essen selbstständig, nur manchen muss das essen gereicht werden. Es ist eine ruhige Atmosphäre, das Radio dudelt. Das Essen ist einfach, aber lecker. Danach werden die Tabletten verteilt.

08:45 Uhr

Frühstückspause. Ich kann es gar nicht fassen, dass ich noch nicht einmal drei Stunden hier bin. Ich habe schon so viel erlebt. Zum Frühstück gehen wir in den Garten. Ein bisschen Sonne genießen, Kraft tanken. Schön ist es hier. Ein Teich ist angelegt und daneben gibt es ein Ziegengehege.

09:30 Uhr

Tabletten stellen. Diese Tätigkeit wird jeden Tag erledigt. Jeder Bewohner hat seinen eigenen Behälter, in dem seine Tabletten untergebracht sind. Die Pflegekraft nimmt sich jede Akte vor und schaut, welche Medikamente zu verabreichen sind. Bis zum nächsten Frühstück wird geplant. Handschuhe sind dabei unverzichtbar. Hier passt auch Mario, einer der beiden Azubis gut auf. Er hat in zwei Wochen Prüfung und dies kann Bestandteil des Praxisteils sein. Endlich haben wir ein bisschen Zeit zum Reden. Anke hat, vor ihrer Ausbildung zur Altenpflegerin, bereits eine Ausbildung zur Sozialassistentin absolviert. Dabei muss man Praktika in drei Bereichen bewältigen: Behindertenpflege, Kinderbetreuung und Altenpflege. Die Altenpflege hat sie dabei am meisten angesprochen. Das Schöne an diesem Beruf ist, dass man etwas für alte Menschen tun kann, den restlichen Lebensweg mit ihnen beschreiten kann. Auch wenn Anke es sich aussuchen könnte, würde sie keinen anderen Beruf wählen. Im Büro könnte sie zum Beispiel nicht arbeiten. An der Altenpflege fasziniert sie auch, dass man etwas über die Biografie der Bewohner erfährt, wie sie gelebt haben. An dieser Stelle klinkt sich Azubi Mario ein: „Ich habe zuerst auf dem Bau gearbeitet, danach ein FSJ absolviert und seit dem weiß ich, dass ich in diese Berufsgruppe hier gehöre. Auch wenn es nicht immer so leicht ist, aber die Liebe zum Beruf lässt die Schattenseiten hinter sich. (...) Ich glaube, ich werde in diesem Beruf bis zur Rente arbeiten.“ Wow, so viel Liebe zu seinem Beruf erfährt man wohl nicht in allen Berufsgruppen.

11:00 Uhr

Während Anke und Mario noch mit dem Tabletten stellen und säubern der Tablettenbehälter beschäftigt sind, mache ich mich auf den Weg zu Frau Eichler, der Einrichtungsleiterin. Sie gibt mir noch einige Hintergrundinformationen zum Beruf. Insgesamt sei er nicht so einfach, wie er immer dargestellt wird. Man sollte den Beruf aber nicht aus den falschen Gründen auswählen. „Man sollte für sich selbst entscheiden, kann ich das und möchte ich das? Es ist ein Beruf, in dem man voll aufgehen kann und man hat mit Menschen zu tun.“ Immerhin gibt es sogar Überlegungen die Ausbildungen des Gesundheits- und Krankenpflegers, des Kinderkrankenpflegers und des Altenpflegers am Anfang zusammenzulegen und erst später eine Spezialisierung vorzunehmen. „Daran merkt man, dass die Ausbildungsinhalte teilweise identisch sind. Es ist eine medizinische Ausbildung, bei der man den Arzt am Ende begleiten und verstehen, umsetzen was er anordnet und die Arzneimittel zuordnen, sowie deren Wirkungsweisen kennen sollte. Es ist nicht nur das Pflegen des Menschen an sich. Die Fachkraft hat auch sehr viele Facetten eines Gesundheits- und Krankenpflegers“. Deswegen ist ein Realschulabschluss auch Voraussetzung, wenn man die Ausbildung antreten will.
Auf die persönlichen Voraussetzungen angesprochen, die ein Bewerber zur Altenpflege erfüllen sollte, erzählt sie, dass die heutige Generation oftmals Angst vor dem Tod hat. Der Altenpfleger hat aber mit dem Tod zu tun, darüber sollte man sich bewusst sein. „Wir begleiten sie bis zu ihrer letzten Phase des Lebens damit derjenige nicht alleine sein muss. Für einen jungen Menschen ist das zum Teil schwer zu verstehen, nicht weil er nicht will, sondern weil es teilweise ein Tabuthema ist“. Man sollte mit alten Menschen umgehen können, ihr Wesen akzeptieren und in der Lage sein, wertschätzend mit ihnen umzugehen. Außerdem sollte man die Muße haben, auch beim 6. Mal bei der Frage „Hab ich heut schon gefrühstückt“ zu sagen „Ja haben sie, aber wenn sie noch Hunger haben können sie gern noch etwas bekommen“. Man benötigt eine gewisse innere Ausgeglichenheit und Empathie.
Sie empfiehlt interessierten Schülern, ein längeres, freiwilliges Praktikum im Altenpflegebereich zu absolvieren, da alle Tätigkeiten in einem zweiwöchigen Schülerpraktikum nicht erfasst werden können. Ist man dann erst einmal ausgebildeter Altenpfleger, stehen einem viele Weiterbildungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Vergütung ist ordentlich. In ihr spiegelt sich meist auch die Wertschätzung gegenüber dem Beruf wieder. In der Altenpflege gibt es einen Mindestlohn. Einige, vor allem öffentliche und trägergestützte, Einrichtungen zahlen nach Tarifvertrag.
Insgesamt findet die Einrichtungsleiterin es schade, dass den Altenpfleger-Beruf nicht mehr junge Leute ausüben. Oftmals sagen Freunde oder Bekannte: „Das könnte ich nicht.“ Hierzu findet Frau Eichler klare Worte: „Das ist aber keine Wertschätzung des Berufes, sondern eher eine abwertende Haltung. Wenn jemand Stewardess wird, finden es alle gut“. Sie selbst versucht, ihre Mitarbeiter zu motivieren, ihnen Hilfestellungen zu bieten und auch technische Hilfsmittel bereitzustellen, damit sie den Beruf auch bis zur Rente ausüben können. Abschließend richtet sie einen Appell an die junge Generation: „Ich hoffe, dass die junge Generation daran denkt, dass sie selbst auch mal alt wird und das es schön ist, wenn jemand sie pflegt, ohne Wertung, sondern den Menschen so annimmt wie er ist“.

11:30 Uhr

Mit vielen Informationen beladen, kehre ich in den Wohnbereich zurück. Hier laufen schon die ersten Vorbereitungen für das Mittagessen. Frisch gekocht. Riecht gut. Erstmal eine kleine Pause vor dem nächsten Sturm.

12:00 Uhr

Abschließend möchte ich noch ein paar Fotos schießen - für den Artikel, aber auch zur Erinnerung. Ich beobachte noch eine Weile das bunte Treiben beim Mittagessen und bewundere, wie liebevoll Mario mit einer Bewohnerin umgeht, ihr das Essen reicht und sich nett unterhält. Die Mitarbeiter werden für ihre Arbeit von den Bewohnern geschätzt. Was für ein schönes Gefühl. Ich verabschiede mich mit einem lauten „Auf Wiedersehen“ und das meine ich ernst. Ich komme gern wieder her.

12:30 Uhr

Ich mache noch ein paar Bilder von der Außenanlage und gehe zum Ausgang. Ich drehe mich noch einmal um, und denke an die Abschlussworte von Frau Eichler: „Es wollen ganz viele alt werden, aber nicht alt sein. Mit diesem Beruf können gerade junge Menschen lernen, dass alt sein, nichts Schlimmes an sich hat, sondern dass Lebenserfahrung und ein gelebtes Leben etwas unheimlich Schönes ist.“ Ich hatte einen schönen Tag, er war aber auch anstrengend. Meine Wertschätzung diesem Beruf gegenüber ist deutlich gestiegen. Doch trotzdem muss ich sagen: Ich freue mich auf meinen Bürojob am nächsten Tag. Jetzt mach ich erst einmal Mittagsschlaf.

Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen?

„Auf jeden Fall Herzlichkeit und Einfühlungsvermögen“, sagt Anke. Nicht nur in der Pflege, auch in der Phase der Sterbebegleitung sollte man den Bewohnern beistehen und damit umgehen können. Außerdem sollte man Privates und Arbeit trennen. Wer ‚Arbeit mit nach Hause nimmt‘, für den wird der Beruf irgendwann zu einer psychischen Belastung. Tobias, der zweite Azubi, erklärt: „Kritikfähigkeit und eine gewisse körperliche Fitness sind auch wichtig.“ Außerdem sollte man sein Ekelgefühl kontrollieren können. Manchmal sieht man Wunden, die nicht appetitlich sind. Die Bereitschaft zur Schichtarbeit sollte vorhanden sein, man arbeitet hauptsächlich in Früh- und Spätschichten. In der Ausbildung muss man auch fünf Nachtschichten absolvieren und diese nachweisen.
Altenpfleger ist es ein relativ sicherer Job. Fachkräfte in der Pflege werden händeringend gesucht. So sind die Übernahmechancen für Azubis nicht die schlechtesten. Vor allem ist es aber ein vielseitiger Beruf.
Was ist eigentlich mit dem Klischee, das Altenpfleger 'den alten Leuten nur den Hintern wischen'? Hier sind sich Anke, Mario und Tobias einig: dieses Klischee stimmt nicht. Sicherlich, es gehört dazu, aber es ist nur ein ganz kleiner Teil der Tagesaufgaben eines Altenpflegers. „Diejenigen, die das sagen, kennen den Beruf nicht“, ist sich Anke sicher, „aber für viele sind wir halt nur die ‚Arschputzer‘“. Mario lacht: „Lustigerweise habe ich gestern beim Sport erst ein Gespräch darüber geführt. Mein Kollege hat gefragt ‚Wie kann man überhaupt so einen Beruf lernen wollen?‘. Meine Antwort war: ‚Stell dir doch mal vor, deine Oma wäre pflegebedürftig zu Hause. Zusätzlich wird sie inkontinent* und du müsstest das beseitigen.‘ Daraufhin er: ‚Ja gut, dann müsste ich es wahrscheinlich auch machen, aber ich glaub nicht das ich es könnte“. Halten wir also fest: Der Beruf ist viel zu vielseitig, um dieses Klischee zu bestätigen und wird zu wenig wertgeschätzt.